Es ist – das ist nichts Neues – ein Problem unserer alternden Gesellschaft, dass das Großziehen von Kindern nicht als wertvolle und Respekt verdienende Arbeit gesehen wird. So generell. Jeder einzelne findet das schon toll, wobei man das Kind auch nicht verhätscheln oder – mein Favorit – sich vom Kind nicht manipulieren lassen soll. Man kann ja schließlich Schnuller geben. Abpumpen. Ab in die Kita. Will eine Mutter lieber zu Hause bleiben und das Kind selbst versorgen, bis sie glaubt, dass es bereit ist für die große Gruppenwelt, ist sie leider eine Antifeministin, die nur am Herd Erbsensuppe kochen will, Fenster putzen oder gar heimlich bei zugezogenen Vorhängen die Bettwäsche bügeln.
Nein, das ist natürlich gemein, die Nervosität, die eine zu Hause bleibende Frau auslöst, liegt größtenteils gar nicht in der gebügelten Bettwäsche begründet, sondern on der berechtigen Sorge, dass sie sich mit einer derartigen laissez-faire-Haltung langfristig große finanzielle Nachteile einhandelt. Statt daran etwas zu ändern, soll die Frau einfach wieder sofort voll arbeiten gehen und ihr Kind dann halt am Wochenende sehen. Für Papa gilt selbstverständlich dasselbe. Und da wir hier in Berlin wundervolle Kitas haben mit dem für Kleinkinder von der „Liga für das Kind“ empfohlenen Betreuungsschlüssel 1:3, in denen kein Fachpersonalmangel herrscht und die alle über feine Gärten zum Draußenspielen verfügen, ist das ja irgendwie die beste Lösung für alle. Not.
Man könnte natürlich auch „einfach“ dafür sorgen, dass Eltern, die sich entscheiden, das Kleinkind eine etwas längere Weile selbst zu betreuen, dafür adäquat entlohnt und mit Rentenpunkten versorgt werden. Das wäre dann eher die Strategie „Wertschätzung“ – aber das, lerne ich, ist zu teuer. Dann lese ich morgens, dass die Air Berlin-Insolvenz den Bund 200 Millionen Euro kostet und hole das Nusspli-Glas lieber doch noch mal aus dem Regal. Die Entscheider bei Air Berlin haben super Arbeit geleistet, wie ja sowieso alle, die sich Vollzeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, super Arbeit leisten. Die sollte man würdigen, am besten gibt es einfach einen dicken fetten Bonus. Guten Appetit!
„Noch jemand? Sie dahinten, der Herr im besten Alter mit grauem Haar, Anzug und randloser Brille – Sie sehen aus, als hätten Sie einen Bonus verdient. Na los, nicht so zögerlich. Und Sie da mit dem identischen Anzug und dem identischen Haar, nur eher grau meliert als grau – Sie passen perfelt ins Schema. Sie haben sicher auch Ihr bestes getan, in irgendeinem Bereich, irgendwann mal. Greifen Sie zu!“
Mütter*, die Babies zu Hause betreuen, tragen nicht dieselbe Verantwortung wie Menschen, die Fluggesellschaften managen. Erstere erwirtschaften Profit (also im Idealfall). Bei zweiteren geht es lediglich um das Leben eines Menschen. Deshalb gibt es für Mütter, die zu Hause bleiben, keine Krankheitstage, keinen Urlaub und kein vergleichbares Geld. Und Verständnis auch nur begrenzt. Neulich recherchierte ich das mit den Krankheitstagen, nachdem ich eine Nacht allein mit Brummbär und Magendarm-Virus verbracht hatte und am nächsten Tag schlicht nicht wusste, wie ich es schaffen sollte, das Baby nicht auf den Boden fallen zu lassen. In einem Internetforum (ja, ich weiß) schrieb entrüstet eine Mutter: „Geht’s noch?!! Als Mama kannst du nicht krank sein, da heißt es Zähne zusammenbeißen.“ Ich finde das Ganze ekelhaft, diese merkwürdige Ansicht, dass Mütter, die Kinder betreuen, irgendwie über Nacht andere Menschen werden, so Titan-Supermenschen, an denen alles abzuprallen hat. Die Bürokauffrau, die sich sonst bei einer Erkältung mal eine Woche hat krankschreiben lassen, soll jetzt gefälligst mit 40 Grad Fieber und Durchfall das selig durch die Wohnng krabbelnde Gör beaufsichtigen. Und wenn sie umkippt und es greift in die Steckdose? Ist sie galt ’ne Rabenmutter. Wer ficken kann, der kann auch arbeiten.
In der Tat ist es so, dass die Krankenkasse eine Haushaltshilfe stellt, wenn die Mutter zu krank ist, um das Kind zu versorgen. Ob das auch der Papa übernehmen darf, muss dessen Arbeitgeber entscheiden. Generell gilt: Ob Eltern oder Kind, Kranksein ist nicht gern gesehen und wird einem oft unterschwellig vorgeworfen nach dem Motto „Nimm doch fünf Ibuprofen und dann muss das gehen.“ Ich kann Arbeitgeber schon verstehen und auch Teamkollegen, ich war ja selber lange in der Situation. Um etwas an den Gegebenheiten zu ändern – meines Erachtens wäre das angebracht – müsste schon die Politk ran, das wird die Wirtschaft nicht freiwillig machen. Leider werden weder Wirtschaft noch Politik von Leuten dominiert, die selber schonmal krank mit Baby zu Hause waren. Was die aktuellen Regelungen im allgemeinen angeht, kommt es mir eher so vor, als hätte da ein Kind in der Trotzphase das Zepter in der Hand gehabt, so absolut bockig-realitätsverweigernd mutet das Ganze an.
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Ein Politiker und ein Kind auf der Sandkastenkante. Hat der Politiker graues Haar? Trägt er Anzug und randlose Brille? Womöglich …
Politiker:
Also. Wir wollen, besser gesagt brauchen es, dass die Leute mehr Kinder bekommen, so mittelfristig. Deshalb müssen wir wohl oder übel den Leuten so ein bisschen entgegen kommen, sodass die nicht als die Verlierer aus dem Ganzen rausgehen.
Kind:
Wie? Was? Nein!
Politiker:
Naja, also finanzielle Anreize schaffen und dafür sorgen, dass da kein Rentenloch entsteht, wenn Leute sich um ihre kleinen Kinder kümmern.
Kind:
Kita.
Politiker:
Aber manche Leute wollen das nicht, also wenn die Kinder noch so klein sind. Da könnten wir ja mit einer ordentlichen Finanzierung…
Kind:
Ich will, dass alle immer arbeiten.
Politiker:
Das tun sie dann ja später auch wieder, nur für eine gewisse Zeit…
Kind:
NEIN. ALLE SOLLEN ARBEITEN.
Politiker (selbstverständlich pädagogisch geschult):
Okay okay, du bist wütend (Stimmlage und Gesichtsausdrück = mitfühlend). Das ist ja sicher ein doofes Gefühl.
Kind:
Arbeiten, immer, und NIE krank sein.
Politiker:
Aber schau mal, Kinder sind nun mal häufig krank, und die Eltern schlafen nicht viel. Und wenn dann Winter ist …
Kind:
KEIN WINTER. KEIN KRANK.
Politiker (kommt ins Schwitzen):
Okay, okay. Die Leute gucken schon. Ich hab eine Idee: Wir können ja vielleicht die Kindertagesbetreuung verbessern, damit alle die Kleinen auch ohne schlechtes Gefühl da hingeben können.
Kind:
NEIN , ICH WILL NICHTS ÄNDERN !! ALLES SOLL SO BLEIBEN UND ALLE SOLLEN TROTZDEM MEHR KINDER KRIEGEN.
Politiker:
Das wird wohl nicht passieren…
Kind wirft sich auf den Boden und schlägt um sich. Sand, Hundekot und Einwegspritzen fliegen in alle Richtungen.
Kind:
DOCH, ICH WILL ES! UND ICH WILL EIN EIS!
Politiker (kleinlaut):
Vielleicht wenigstens unbezahlten Urlaub für die Sommerferien? Schau wie schön der unbezahlte Urlaub ist, der kostet uns nichts…
Kind:
EIS, EIS, EIS, EIS, EIS, EIS, EIS, EIS
Politiker:
Okay, komm, wir holen dir eine Kugel Weißwurst-Trüffelsenf mit Cassis.
Kind:
Zwei Kugeln!
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So sehr mir derartige Fantasien Spaß bereiten und lange Spaziergänge bei grauem Wetter mit dem Brummbär versüßen, so bitter ist oft noch die Elternrealität. Und ja: Mir ist bewusst, dass es in anderen Ländern nur 12 Wochen Mutterschutz gibt und das war’s. Ich orientiere mich aber lieber nach oben und sage: Da geht noch mehr. Zum Beispiel kenne ich mehrere Paare, die ihr Kind wirklich nicht vor drei Jahren in die Kita geben wollten, es sich aber nicht leisten konnten – ohne Elterngeld – dass ein Elternteil zu Hause bleibt oder beide in Teilzeit arbeiten. Ein kleines Kind mit einem schlechten Gefühl in eine unterbesetzte Kindertagesstätte bringen zu müssen – ich finde, das geht gar nicht!
Und es geht ja nicht nur um das politische Regelwerk und es geht auch nicht nur um Geld. Es geht, wie eingangs erwähnt, um die fehlende Wertschätzung. Ich finde es erschreckend, für wie wenig verantwortungsvoll und wichtig das, was ich aktuell den ganzen Tag mache, von vielen angesehen wird. Denn ich habe schon viele Jobs gehabt, aber keiner war so beängstigend. Beispiel: Müdigkeit. Es ist in meinen Augen schlichtweg absurd, wie die ganze Gesellschaft meint, es wäre wichtiger, dass der Erwebrstätige ausgeschlafen ist als die Kindsbetreuerin. Und das habe ich bereits vor meiner eigenen Schwangerschaft nicht verstanden. Wie meine Freundin F. beispielsweise mit Augenringen bis zu den Nasenflügeln apathisch den Kinderwagen vor- und zurückruckelte und von ewig langen nächtlichen Tragemarathons im dunklen Flur erzählte. Und auf meine Frage, ob nicht der werte Ehemann das Kleine auch mal ein paar Stündchen herumschleppen könne, die Antwort kam:
„Nein, der muss schlafen, der muss ja morgens arbeiten.“
Klar, als Grafikdesigner, Finanzbeamter oder Gärtner darf man natürlich nicht bei der Arbeit einnicken – die Mama, die beim Überqueren der Straße vor Erschöpfing nicht mehr weiß, was ein Auto ist, wird nicht als so problematisch gesehen. Zähne zusammenbeißen, Ibuprofen, Kaffee (aber nicht zu viel weil sonst Rabenmutter, erneut). Das ist wirklich der größte Bullshit, den ich überhaupt jemals gehört habe. Wir halten Menschenleben in unseren Händen. Ich fordere: Mamas und Herzchirurgen sollen schlafen dürfen. Und am allermeisten Herzchirurginnen, die auch Mamas sind. Aber zu der Problematik schreibe ich demnächst mehr, die verdient ihren eigenen Blog-Post.
*Im Text schreibe ich von Müttern, weil die große Mehrheit der Eltern, die im ersten Babyhalbjahr zu Hause bleiben, Mütter sind. Die Situationen und Schlussfolgerungen sind jedoch größtenteils auch auf Väter anwendbar. In der Theorie.